Lastrup – Nicht weniger als 36 Erdbeben zwischen Magnitude (ML) 0.4 und 3.6 wurden seit Ende September im Landkreis Cloppenburg registriert. Die jüngsten: Ein spürbares M2.5 sowie zwei kleine Nachbeben vergangene Nacht (18. Oktober).
Im Vergleich zu den beiden größeren Erdbeben am 28. September (M3.2) und 1. Oktober (M3.6) waren die Auswirkungen gering. Wir haben mehrere Zeugenmeldungen erhalten, wonach die Erschütterungen mit Intensität II bis III in Lastrup und Essen zu spüren waren. Es ergibt sich ein Schütterradius von acht Kilometern. Aufgrund der Uhrzeit des Bebens (01:53 Uhr) haben viele Anwohner das Beben verschlafen.
Es gibt inzwischen keine Zweifel mehr daran, dass die Erdgasförderung am Erdgasfeld Hemmelte ursächlich für diese Erdbebensequenz ist. Von den 36 registrierten Beben (möglicherweise sind die Registrierungen des BVEG auf seis-info.de noch unvollständig) wurden insgesamt vier Beben verspürt: Neben den drei genannten war dies noch ein Beben mit M2.1, ebenfalls am 1. Oktober. Die übrigen Beben waren nicht stärker als M1.5.
 
Eine derartige Häufung von Erdbeben ist in Niedersachsen bisher einzigartig. Die Hemmelte-Sequenz macht alleine über ein Drittel der vom BVEG registrierten Erdbeben aus (seit 2012). Generell sind solche Cluster bei durch Erdgasförderung induzierten Beben äußerst ungewöhnlich. Vergleichbar im mitteleuropäischen Raum war lediglich eine Sequenz im Jahr 2009 in der niederländischen Provinz Groningen, allerdings mit deutlich geringeren Magnituden (alles unter ML2.0). In Niedersachsen hat es seit 2012 nur zwei Beispiele für Erdbebencluster gegeben: 2014 in Walsrode (sieben Beben, ML0.7-1.8) und im Oktober 2018 im Raum Husum (sieben Beben, ML0.1-2.1). Beide entsprechend deutlich schwächer ausgeprägt als in Hemmelte.
 
Das Erklären eines ungewöhnlichen Erdbebenclusters ist in der Regel sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich und es bedarf detaillierter Studien. Zumindest wenn es um Fragen wie „Warum jetzt? Warum dort?“ geht. Bisher lassen sich lediglich Überlegungen anstellen:
Hintergrund der Seismizität in Lastrup-Hemmelte ist wie gesagt die dortige Erdgasförderung, inzwischen auch offiziell bestätigt. Vor 2018 wurde dort allerdings keine nennenswerte Seismizität registriert, obwohl seit 1980 aus der dortigen Zechstein-Lagerstätte gefördert wird, was die Ereignisse nochmals überraschender macht. Auf oben stehender Karte sind die beiden nächsten Produktionsbohrungen Z8a (seit 2004) und Z11 (seit 1994) sowie die fünf lokalisierbaren Epizentren eingetragen. Erkennbar ist, dass das Zentrum dieser (und vermutlich auch der 31 übrigen Erdbeben) genau im Bereich dieser Lagerstätte liegt, der von den beiden Produktionsbohrungen erschlossen ist. Diese Lagerstätte liegt in rund vier Kilometern Tiefe. Die genaue Tiefe der Erdbebenherde ist allerdings nicht bekannt. Da in der gesamten Lagerstätte die Förderung in den vergangenen Jahren stark rückläufig gewesen ist (-60% seit 2008), gibt es keine eindeutige Erklärung für das plötzliche Auftreten von Erdbeben, anders als es zum Beispiel bei einer rapiden Zunahme gewesen wäre.
Wahrscheinlich ist, dass durch die fortschreitende Druckänderung im Laufe der Jahrzehnte Spannung auf eine Störung oberhalb oder unterhalb des Förderhorizontes induziert wurde.
 
Nun wurde offenbar der kritische Punkt erreicht. Der Grund, warum die Spannung in Form einer Erdbebensequenz mit Vor- und Nachbeben (das heutige Erdbeben ist als Nachbeben zu sehen) entladen wird, ist nicht ermittelbar, vermutlich ist er bedingt durch die geologischen Bedingungen, bzw. die Eigenschaften der Störung. Viele Nachbeben sind meist ein Zeichen dafür, dass beim Hauptbeben nicht die gesamte Energie freigesetzt wurde und noch ein (großer?) Teil der Störung unter Spannung steht, die sich dann später entlädt. Wie bei tektonischen Erdbeben bleibt somit eine gewisse Wahrscheinlichkeit weiterer spürbarer Nachbeben oder sogar neuer größerer Erdbeben bestehen. Zumindest lässt sich letzteres nicht komplett ausschließen.
 
Ein möglicherweise zu beachtender Faktor beim Ursprung dieser Erdbebensequenz könnte tausende Kilometer entfernt zu finden sein:
Das erste Erdbeben wurde am 28. September um 17:21 Uhr aufgezeichnet (M3.2). Wenige Stunden zuvor, um 12:02 Uhr, traf ein Erdbeben mit Magnitude 7.5 die indonesische Insel Sulawesi. Dieses Erdbeben ging auf eine Strike-Slip Störung zurück. Solche Beben haben die Eigenschaft, dass die seismischen Wellen in bestimmten Fällen auch auf große Distanz (also quasi global) andere Erdbeben auslösen können, genannt „Dynamic Triggering„. Dabei ist es stark abhängig vom Störungstyp, der Störungsgeometrie und der Umgebung, ob in einer bestimmten Region ein Erdbeben induziert oder getriggert wird. In Gebieten erhöhter hydrothermaler Aktivität, z.B. Vulkangebieten, aber auch an Orten mit Erdgasförderung, bzw. Fluidinjektion wurden in der Vergangenheit auf diese Art Erdbebensequenzen ausgelöst.
 
Da noch wenig über die tektonischen Hintergründe der Hemmelte-Sequenz bekannt sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob ein Zusammenhang hier möglich ist. Zu beachten ist auf jeden Fall, dass Dynamic Triggering allein keine Erdbeben hervorrufen kann, sondern immer nur der finale Initiator. Das heißt, das Potential für derartige Erdbeben muss bereits zuvor (bedingt durch Erdgasförderung und normale tektonische Prozesse) gegeben sein. 
 
Es bedarf auf jeden Fall detaillierte Studien, um mehr über diese Erdbebensequenz zu erfahren. Wir dürfen auf die Ergebnisse gespannt sein. 
Weiterführende Links
http://www.seis-info.de (Messsystem des BVEG)
http://nibis.lbeg.de/cardomap3/ (Kartenserver des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie)

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